Hallo zusammen,
Achtung Überschwemmungsgefahr von Eindrücken und Informationen! Naja, das war zumindest der Plan, bis ich mein Praktikum bei der Zeitung angefangen habe und die Zeit zu fliegen anfing.
Es sind keine 20 Tage mehr bis zu meinem Abflug. Und aktuell stecke ich mitten im Praktikum bei der Lokalredaktion. Mag sich zunächst etwas öde anhören, wenn man überlegt, wie klein meine Heimat ist, aber ich habe großen Spaß. Ich treffe neue Leute, erfahre interessante Geschichten, schreibe Berichte und erfahre einfach so unglaublich viel über meine eigene Stadt, worüber ich vorher nie nachgedacht habe. Irgendwie ironisch, dass das passiert, bevor ich gehe, aber es ist sicherlich auch immer wichtig in Erinnerung zu halten, wo man herkommt.
So jetzt will ich trotzdem noch etwas zu meiner Vorbereitung berichten, also los geht’s!
Ende Juni war ich in Bielefeld für mein zweites Vorbereitungsseminar. Dieses Mal war das Ganze etwas anders, etwas vertrauter. Ich bin mit zwei Mitfreiwilligen aus Köln angereist, das Seminar fand im Welthaus statt und wir wohnten in Apartments. Der Boden knatschte, das Badezimmer war in hellrosa und in unserer winzigen Küche versuchten wir unter anderem, Salsa zu lernen.
Zunächst gab es ein großes Hallo und erfreutes Wiedersehen bei der Begrüßung. Neugierig waren wir besonders auch auf die drei Neuen, die aus der aufgelösten Ländergruppe Nicaragua kamen. Inzwischen gehören sie fest zu unserer Gruppe. Außerdem lernten wir drei weitere Rückkehrerinnen aus Ecuador kennen, die uns die ganze Woche begleiteten und ihre Erfahrungen mit uns teilten.
Sechs intensive Tage beschäftigten wir uns mit sensiblen Themen wie interkulturelle Vielfalt, Identität, Interkulturelle Konflikte, Gewalt, Gender und Sexismus, Liebe, Rassismus und Sprache. Einerseits könnte ich auf jedes Thema einzeln eingehen, um so meine Einstellung vor und nach dem Jahr vielleicht auch vergleichen zu können. Andererseits möchte ich euch meinen ewiglangen Versuch, die richtigen Wörter zu finden, nicht antun. Daher nur eine grobe Zusammenstellung an finalen Eindrücken: Es waren sehr viele Denkanstöße dabei in einer sehr kurzen Zeit, die mich inspiriert haben, manche Sachen zu hinterfragen oder mir dann erst wirklich bewusst geworden sind.
Die Selbstreflexion meiner Person und meiner Kultur ist mir ziemlich schwer gefallen und war wirklich intensiv. Für so etwas würde ich mir niemals die Zeit nehmen, weil ich mir ehrlich gesagt, nie zu viele Gedanken über die Hintergründe mache. In dem Moment ist mir bewusst geworden, wie dankbar ich für alles bin, was ich oft wie selbstverständlich hinnehme, aber auch wie gleich und doch unterschiedlich diese Welt ist. Falls ich jemals frustriert in einem Konflikt stecke und die Welt nicht mehr verstehe, möchte ich mich an dieser Stelle daran erinnern, die Sache einfach mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Gender und Sexismus hat mich berührt, aber auch total überrascht, besonders der Vergleich verschiedener Länder. Mir war klar, dass das Rollenverständnis von Frau und Mann in den meisten Ländern Südamerikas noch eher traditionell ist. Die Macho-Kultur ist bereits in Texten von den meisten Reggaeton Liedern offensichtlich, zumindest für die, die den Inhalt verstehen. Trotzdem hat Deutschland zum Beispiel weniger Frauen im Parlament, als Nicaragua, Mexiko oder auch Ecuador. Beim Global Gender Index, welcher bemessen wird an Gesundheit, Gehalt und Gewalt beider Geschlechter, liegt Ecuador an 81. Stelle, Deutschland nur auf 101. Stelle.
Rassismus war auch ein sehr intensives Thema. Ich persönlich habe total mit dem Begriff zu kämpfen, da ich das Gefühl habe, dass er einfach zu oft missbraucht wird für falsche Zwecke und er den wirklichen Gedanken, der für mich dahinter steckt, nicht wirklich wiedergibt. Es gibt nun mal weiße und schwarze Menschen, und damit ist nicht die Hautfarbe gemeint, sondern deren unterschiedlicher politischer und sozialer Hintergrund. Durch den Kolonialismus haben People of Color einfach ein anderes Schmerzgefühl und einen anderen Hintergrund, welcher sich nicht mit Diskriminierung vergleichen lässt, denn das würde die Wahrheit und deren noch immer vorhandenen Auswirkungen verharmlosen. Rassismus ist etwas, was keiner wahr haben möchte, aber leider immer noch in unserer Gesellschaft verankert ist. Ich bin nun mal weiß, ich hatte früher auch einen Stift, den ich Hautfarbe genannt habe, weil die Farbe meiner Hautfarbe entsprach, aber ich möchte wirklich bewusster mit dem Thema umgehen.
Kinderarbeit ist das letzte Thema, welches ich noch ansprechen möchte. Ein weiterer Begriff, der in unserer Gesellschaft oft verpönt wird. Kinder werden als Opfer gesehen und die Arbeit müsse bekämpft werden. Dabei haben Kinder eine eigene Meinung und Rechte, auf die Erwachsene auch hören sollten. Der Verein ProNATs unterstützt arbeitende Kinder, sich für ihre Rechte einzusetzen und um bessere Arbeitsbedingungen zu erwirken. Denn die Arbeit dient ärmeren Kindern häufig als Lebenserhalt und sollte anerkannt werden, problematisch sind Ausbeutung und Diskriminierung von Kindern und die Arbeit unter risikohaften Umständen.
Bereichernd waren immer wieder die Diskussionen und der vertraute Austausch in der Gruppe. Ich habe das Gefühl, die anderen Freiwilligen schon Ewigkeiten zu kennen, weil wir uns über so tiefgründige und persönliche Themen unterhalten haben, über die man meist erst spricht, wenn man sich schon lange kennt.
Zum Abschluss haben wir virtuell unsere Koffer gepackt und Soziogramme erstellt unserer Situation jetzt, während des Jahres und danach. Da wurde mir immer mehr bewusst, wie viel sich verändern wird in diesem Jahr. Natürlich freue ich mich auch schon sehr, neue Menschen kennenzulernen, aber habe auch Angst davor die Menschen, die mir jetzt nahe stehen, zu verlieren.
Das war jetzt doch länger als geplant und Respekt, falls ihr bis hierhin durchgehalten habt. Aber das war quasi die Kurzfassung des zweiten Seminars, welches ich total spannend fand und meine Vorfreude nochmal immens gesteigert hat. Anmerken möchte ich auch noch einmal, dass das meine persönlichen Ansichten sind, die ich auch selber immer wieder hinterfrage und die mir sehr schwer fallen auch auszudrücken. Denen kann jeder natürlich widersprechen.
P.S. Tut mir leid, dass ich das erst so spät hochlade und ja der Anfang passt auch nicht mehr so ganz, denn inzwischen ist Sonntag schon übermorgen!
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